Im Folgenden möchte ich Adornos tiefgründige Analyse der Popmusik und seiner Kritik an deren potenzieller Rolle im politischen Protest nicht nur rekonstruieren, sondern auch in einen breiteren Kontext der Philosophie des Geistes und der kulturellen Bildung einbetten.
Theodor W. Adorno, ein zentraler Denker der Kritischen Theorie, war zeitlebens von einer tiefen Skepsis gegenüber den kulturellen und ästhetischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts geprägt, insbesondere in Bezug auf die Massenkultur und die Rolle der Unterhaltungsmusik.
In einem Interview, das auf YouTube verfügbar ist (Adorno im Gespräch), äußert Adorno seine Bedenken hinsichtlich der Verbindung von politischem Protest und Popmusik. Diese Position, die er unter anderem in seiner Rede bei Minute 2:02 zum Ausdruck bringt, legt den Grundstein für eine grundlegende Kritik der sogenannten „Kulturindustrie“ und der damit verbundenen Produktion von Popmusik.
Die Entkoppelung von Protest und Popmusik
Adorno vertritt die These, dass Popmusik, auch wenn sie politische Themen aufgreift, letztlich an ihren kommerziellen und unterhaltenden Charakter gebunden bleibt. In der Passage, die bei Minute 2:02 beginnt, formuliert er dies mit bemerkenswerter Präzision:
„Ich glaube allerdings, dass Versuche, politischen Protest mit der Popular Music, also mit der Unterhaltungsmusik zusammenzubringen, deshalb zum Scheitern verurteilt sind, weil die ganze Sphäre der Unterhaltungsmusik, auch wo sie sich irgendwie modernistisch aufputzt, so mit dem wahren Charakter, mit dem Amüsement, mit dem Schielen nach dem Konsum verbunden ist, dass also Versuche, dem eine veränderte Funktion zu geben, ganz äußerlich bleiben.“
Was Adorno hier andeutet, ist eine tiefe Inkompatibilität zwischen dem politischen Gehalt eines Protests und der kommerziellen Struktur, der die Popmusik unterliegt. Die Popmusik – und hier unterscheidet sich Adornos Analyse nicht fundamental von seiner Kritik an der Kulturindustrie insgesamt – ist im Wesentlichen auf Konsum ausgerichtet. Selbst wenn sie „modernistisch“ erscheint oder sich bemüht, politisch progressive Botschaften zu transportieren, bleibt sie, Adorno zufolge, in ihrer äußeren Form gefangen und kann ihrem kommerziellen Ursprung nicht entkommen.
Popmusik und die Verdinglichung des Protests
Ein besonders prägnantes Beispiel für Adornos Kritik an der Popmusik als Protestmedium findet sich in seiner Bemerkung zu einem Vietnamkriegs-Protestsong, der bei Minute 2:48 beginnt:
„Und ich muss sagen, wenn also dann irgendjemand sich hinstellt und auf eine im Grunde doch schnulzenhafte Musik dann irgendwelche Dinge darüber singt, dass Vietnam nicht zu ertragen sei, dann finde ich, dass gerade dieser Song nicht zu ertragen ist, weil er, indem er das Entsetzliche noch irgendwie konsumierbar macht, schließlich auch daraus noch etwas wie Konsumqualitäten herauspresst.“
Adornos Kritik läuft hier auf eine zentrale These hinaus: Die Popmusik vermag es nicht, das Grauen oder das Politische in seiner ganzen Tiefe darzustellen. Vielmehr wird das „Entsetzliche“ – in diesem Fall der Vietnamkrieg – in eine Form gegossen, die konsumierbar bleibt. Das heißt, das Schreckliche wird nicht nur ästhetisiert, sondern geradezu verwässert, um in den kommerziellen Mechanismus der Popmusik integriert zu werden. Dadurch verliert der Protest seinen ursprünglichen politischen Gehalt und wird zu einem weiteren Produkt, das für den Konsum bestimmt ist.
Hier lässt sich ein tiefgreifender Zusammenhang zu Adornos Philosophie des Geistes herstellen. Denn für Adorno war das Denken stets etwas, das Widerstand leisten musste, das sich gegen die Verdinglichung der Welt stellte.
Popmusik, so könnte man argumentieren, wird in Adornos Perspektive zum Inbegriff einer verdinglichten Kulturform. Sie ist geprägt von Wiederholungen, Standardisierungen und eingängigen Formen, die das Individuum nicht zu kritischem Nachdenken anregen, sondern es in einer passiven Konsumentenrolle festhalten.
Die Rolle der Popmusik im Rahmen der Didaktik und kulturellen Bildung
Adornos Reflexionen über die Popmusik sind auch für die Frage relevant, wie wir kulturelle Bildung gestalten sollten. In der Philosophie des Geistes, wie auch in der Didaktik, stellt sich die Frage, wie wir Subjekte erziehen und fördern, die zur kritischen Reflexion befähigt sind. Der Konsum von Popmusik, so Adorno, ist jedoch nicht geeignet, diese Form des kritischen Denkens zu fördern. Stattdessen trägt Popmusik dazu bei, den Geist des Menschen in eine passiv konsumierende Haltung zu bringen.
Wenn Adorno von der "Verwässerung" des Politischen in der Popmusik spricht, betont er damit auch einen zentralen Punkt für die didaktische Praxis: Es reicht nicht, Inhalte zu konsumieren, die vermeintlich politisch oder kritisch sind. Vielmehr muss die Form der Vermittlung – sei es durch Musik, Kunst oder Literatur – geeignet sein, das Subjekt zu einem aktiven Denker und Handelnden zu formen. Eine Bildung, die lediglich auf das Amüsieren oder das passive Konsumieren setzt, verfehlt dieses Ziel.
Ein didaktischer Ansatz, der auf Adornos Kritik aufbaut, müsste daher nicht nur die inhaltliche Auseinandersetzung mit Musik, Kunst und Kultur in den Vordergrund stellen, sondern auch die Form dieser kulturellen Produkte hinterfragen. Die Frage lautet: Inwiefern trägt ein kulturelles Produkt zur Befreiung des Geistes bei, oder dient es dazu, den Konsumzwang weiter zu verfestigen?
Adornos Pessimismus und die praktische Bedeutung für die Gegenwart
Man könnte Adorno vorwerfen, zu pessimistisch zu sein. Seine generelle Skepsis gegenüber der Popmusik und der Kulturindustrie insgesamt ließe den Eindruck entstehen, als gebe es keinen Raum für genuine politische Kunst oder Musik im Zeitalter des Kapitalismus. Doch hier liegt die eigentliche Herausforderung für uns als Pädagogen und Philosophen: Wir dürfen diese Kritik nicht als reine Ablehnung verstehen, sondern müssen sie als Aufforderung zu einer vertieften Auseinandersetzung begreifen.
Adorno fordert uns implizit dazu auf, unsere kulturellen und ästhetischen Kategorien zu überdenken. Anstatt uns mit oberflächlichen Formen des Protests oder des Konsums zufrieden zu geben, müssen wir tiefere Formen der Reflexion und des Widerstands entwickeln. Dies könnte bedeuten, dass wir in der kulturellen Bildung vermehrt auf Formen der Kunst setzen, die das Subjekt nicht nur emotional berühren, sondern es auch intellektuell herausfordern.
Fazit: Philosophie des Geistes und Adornos Erbe
Als ehemaliger Pop-Erzeuger versuche ich also anzuregen, nicht nur kulturelle Produkte zu konsumieren, sondern diese auch kritisch zu hinterfragen.
Adornos Kritik an der Popmusik bietet hierfür einen wertvollen Anknüpfungspunkt. Sie zeigt, wie Kultur in einer kapitalistischen Gesellschaft standardisiert und entpolitisiert werden kann, und erinnert uns daran, dass echte Reflexion und Veränderung nicht aus der Konsumhaltung heraus entstehen können.
Die Aufgabe der kulturellen Bildung besteht daher darin, Räume für die kritische Auseinandersetzung mit Kultur zu schaffen – jenseits von bloßer Unterhaltung und Konsum. Adorno hat uns dazu aufgerufen, das Denken zu fördern und die Subjekte zu befähigen, sich der Mechanismen der Kulturindustrie bewusst zu werden und diese zu hinterfragen. Dies ist eine Herausforderung, die wir annehmen müssen, wenn wir eine wirklich emanzipierte Gesellschaft anstreben.
Wer Adornos Gedanken im Original hören möchte, findet sie im vollständigen Gespräch hier.